Von Anspannung zu Entspannung

Perspektivteam des BLLV Niederbayern erprobt Möglichkeiten zum Abbau von Stress

Das Perspektivteam des BLLV Niederbayern traf sich seit seinem Bestehen bereits an vielen verschiedenen Orten, zu sehr verschiedenen Anlässen und in vielen unterschiedlichen Räumlichkeiten, „noch nie aber in solch einem Outfit“, begrüßte Rainer Kirschner, 2. Bezirksvorsitzender des BLLV Niederbayern, lachend die – durchwegs sportlich gekleideten - Teilnehmer des zweitägigen Seminars, diesmal auf Sportmatten statt Seminarstühlen.

Rund 25 Mitglieder des Perspektivteams waren vom 10. bis 11. Februar 2023 im Arberland Tagungshaus Regen zusammengekommen, um den stetig steigenden Anforderungen des Lehrberufs etwas äußerst Wirksames entgegenzusetzen: Entspannung.

Die vielfältigen Situationen aus dem beruflichen Umfeld Schule, die zu Spannung, Anspannung und persönlicher Belastung führen, dürfen nicht unterschätzt werden und können dauerhaft zu Erkrankungen und Ausfällen führen, erläuterte Rainer Kirschner. Laut Forschungsergebnissen sind beispielsweise Formel-1-Fahrer während eines Rennens einem Stresslevel ausgesetzt, das mit der Belastung von Lehrkräften vergleichbar ist – mit jedoch einem erheblichen Unterschied in Dauer und Frequenz. Die Relevanz geeigneter Präventionsstrategien und –techniken für eine nachhaltig stabile Lehrergesundheit ist somit evident.

Vier Fachreferentinnen stellten in den folgenden zwei Halbtagen den Teilnehmern in Kleingruppen exemplarische Möglichkeiten vor, wie der Umgang mit Anspannung, der Abbau von Stress und damit das Erreichen möglichst umfassender Entspannung gelingen kann.

Motiviert startete die eine Hälfte der Teilnehmer direkt in den Yoga-Workshop. Yoga, eine mittlerweile weit verbreitete, aus Indien stammende Lehre, umfasst dabei nicht nur körperliche, sondern auch geistige Übungen zur Sammlung und Konzentration und wird in unzählig vielen Varianten praktiziert.

Sandra Alessio-Siedl, Sprachheilpädagogin und Logopädin, stand einst selbst vor Klassen an Förderzentren und kam über körperliche Symptome zum Yoga. Nach ihrer Ausbildung sammelte sie Erfahrungen mit Yoga in Unterricht und Schule und ist außerdem Herausgeberin von Yoga-Kinderbüchern. Mit diesem fachlich fundierten Hintergrund hielt sie einige Tipps bereit, wie sich Yoga auch im schulischen Alltag mit Schüler:innen implementieren lässt.

„Das Entscheidende an der entspannungsfördernden Wirkung von Yoga ist neben dem meditativen Aspekt vor allem die ganzheitliche Methode“, erläuterte sie. Zudem kann jeder Bewegungsablauf mühelos an den eigenen Körper und dessen Ausgangslage angepasst werden. „Yoga ist für uns da“, betonte die Referentin, durch bewusstes Atmen wird Achtsamkeit gefördert und in der Bewegung wird Stress abgebaut. Auch sie betonte die Gefahr von Dauerstress und seine krankmachenden Auswirkungen - die Relevanz von gezielter Entspannung besonders im Lehrberuf sei also nicht zu unterschätzen.

Im Folgenden übten sich die Teilnehmer zunächst in verschiedenen Atemstrategien als Grundlage für erfolgreiches Entspannen, bevor Sonnengrüße und Katzenbuckel als körperlich fordernde Elemente erprobt wurden. Viele der Bewegungsabfolgen lassen sich neben dem persönlichen Einsatz dabei auch mit Kindern problemlos umsetzen. Auch Übungen mit Faszienbällen, welche z.B. als Prophylaxe für Verletzungen genutzt werden, sind ein weiteres Element, das kurzfristig und im Klassenverband mit den Schüler:innen genutzt werden kann - zumal die kleinen Noppenbälle an vielen Schulen bereits vorhanden sind. Nach kurzweiligen zwei Stunden tauchten die Yogis mit Yoga Nidra, einer Form von ausgleichender Wechselatmung, schließlich ein in die Tiefenentspannung – bevor nach einer kurzen Pause direkt der nächste Workshop anschloss.

QiGong, eine jahrtausende alte chinesische Form der Meditation in Bewegung, die es in über 400 verschiedenen Arten gibt, ist das Spezialgebiet von Hildegard Heller. Die Heilpraktikerin und Dozentin für Osteopathie führte die Teilnehmer engagiert in Atemtechniken und Bewegungsabfolgen ein und erklärte, wie jeder die körpereigene Energie – das Qi -  leiten und ins Fließen bringen kann. Es wurden Energiepunkte und Meridiane aktiviert, das Qi gemehrt und gelenkt, „Stehen wie ein Baum“ für eine sichere mentale Erdung erprobt, beim „Kranich“ das Gleichgewicht gefunden und bei koordinativ gegenläufigen Übungen durchaus auch die Lachmuskeln aktiviert. „Das klappt am besten, wenn Sie erst gar nicht drüber nachdenken und sich einfach hineinfallen lassen“, scherzte Frau Heller. Einige Teilnehmer:innen konnten sich tatsächlich bereits von dem stets präsenten ‚Denken’ lösen und erlebten die Energie der fließenden Bewegung – unter großer Bewunderung derjenigen, die kognitiv versuchten, sich die Bewegungsabfolge logisch zu erschließen. Die Referentin holte jedoch begeistert jeden ab und gab Hilfestellungen, und es wurde schnell deutlich, wie sehr unser Kopf meist die Oberhand hat und somit einer Harmonisierung und Regulierung des Qi entgegenstehen kann. Nachdem schließlich alle Energien wieder im Dan Tian, dem ‚Lebenszentrum des Menschen’ unterhalb des Nabels versammelt waren, entließ Frau Heller die Teilnehmer mit praktischen Umsetzungstipps für kleine individuelle Übungseinheiten sehr entspannt in den Abend.

Nach einem geselligen Essen und anschließender Diskussion über die bereits erprobten Techniken folgten am Samstagmorgen - bisweilen mit leichtem Muskelkater – direkt zwei weitere exemplarische Möglichkeiten, „wie wir in unserem spannenden Beruf entspannen können“, so Rainer Kirschner.

Gerade angekommen im Seminarraum empfing uns die erste Referentin des Tages sogleich mit im Raum verteiltem, beruhigendem Lavendelduft. Monika Eder-Strobel, Heilpraktikerin und ehemalig tätig im Bereich BWL/Diplom-Kauffrau, erläuterte zunächst die Hintergründe des Autogenen Trainings, bevor wir uns dem (griech.:  autos = )selbst- (genos = )erzeugten Training zur Entspannung von Körper, Seele und Geist widmen durften. Der Berliner Neurologe und Psychiater Johannes Schultz entwickelte dieses aus der Hypnose und stellte es 1926 erstmalig vor. Er wollte damit seinen Patienten ein Werkzeug an die Hand geben, um zeitlich und örtlich ungebunden jederzeit alleine in die Entspannung finden zu können. Der Trainingsaspekt ist dabei enorm, da man als Ziel „die Insel der Ruhe erreichen will“, erklärte Frau Eder-Strobel, „und das geht nur über einen Trampelpfad im Gehirn, den man immer und immer wieder geht“. Die klar angeleitete praktische Übung folgt einer festen Struktur und die mantra-artig wiederholten Formeln beziehen sich nacheinander auf einzelne Körperbereiche, in welchen bewusst Schwere und Wärme erspürt wird, um über Herzschlag und Atmung zu einer Entspannung des Nervensystems zu kommen. „Es atmet mich“, leitete die Referentin die Teilnehmer an und formulierte damit, dem Körper die natürliche Steuerung zu überlassen, eine Vorstufe der Selbsthypnose. Die Techniken wenden sich dabei an das vegetative Nervensystem und werden beispielsweise auch in Therapien eingesetzt. Schließlich wird die Entspannung gezielt zurückgenommen, um wieder im Hier und Jetzt anzukommen.

Neben der intensiven Erfahrung dieser Entspannungsmethode und weiteren kleinen Übungen wie dem Fingerströmen durften die Teilnehmer auch den Einsatz von Heilpflanzen, Heilsteinen und Düften der Aromatherapie erfahren und testen. Angetan von der Strahlkraft der Meisterwurz und liebevoll handgestalteten Affirmationskärtchen für eine täglich positive Ausrichtung verließen die Lehrkräfte bereichert den immer noch duftenden Raum.

Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen stellte Referentin Tanja Absmeier, Arzthelferin und Ergotherapeutin u.a. an der Kinderklinik Passau, zunächst in der Theorie vor. Edmund Jacobson, amerikanischer Arzt, konnte in seinen Studien an der Harvard University bereits 1908 den Zusammenhang von Anspannung und seelischen wie auch körperlichen Erkrankungen nachweisen. Wichtig bei der Entwicklung seiner Therapieform war ihm dabei, dass die Patienten völlig selbständig und ohne sein Zutun einen Entspannungszustand herbeiführen können. In den Übungen dazu werden einzelne Muskelgruppen nacheinander über einen bestimmten Zeitraum gezielt angespannt, um danach bewusst die Entspannung und somit auch bessere muskuläre Durchblutung wahrnehmen zu können. Dadurch werden sowohl Muskelverspannungen gelockert, als auch mentale Anspannungszustände verringert – eine  gezielte Konditionierung der körperlichen Entspannungsreaktion also. Im Idealfall sollten diese Übungen präventiv eingesetzt werden, „noch bevor der Stress überhaupt entsteht“, betonte Tanja Absmeier, „denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass in der Akutsituation die Stressbewältigung dann nachweislich besser abläuft und die Anspannungskurve einer geübten Person weit unter der Normallinie verläuft.“ Der anschließende ‚Bodycheck’ führte die Teilnehmer in das fünfstufige Schema der bewussten Anspannung ein und nacheinander wurde unter Anleitung der Referentin in allen Muskelpartien gezielt Muskelspannung gehalten und wieder gelöst. Auch die generelle Achtsamkeit im privaten wie schulischen Alltag kann ein Element für Entspannung sein, welches auch mit Schüler:innen in kleinen Einheiten ohne großen Aufwand immer wieder bewusst geübt werden kann. Der möglichst langsame Verzehr einer Trockenpflaume mit geschlossenen Augen ließ die Teilnehmer direkt erfahren, wie es sich anfühlt, sich für Kleinigkeiten Zeit zu nehmen, alle Sinne zu aktivieren, die Aufmerksamkeit zu lenken und belastende Gedanken auch einmal in den Zug zu setzen und einfach wegfahren zu lassen. „Jetzt bekommen Sie als Lehrer:innen von mir eine Hausaufgabe“, lachte die Referentin, denn nur durch Übung kann die gezielte Konditionierung von Entspannung erreicht werden: „Steter Tropfen höhlt den Stein!“ In der abschließenden Gruppenreflexion eruierten die Teilnehmer also mögliche Nischen im Alltag, die sich für Übung eignen und formulierten ihre Motivation dafür, diese Methode zu automatisieren und somit in schwierigen Situationen über bessere Selbststeuerung zu verfügen. Präventivarbeit für mögliche Ausreden also, denn jeder kann, darf und soll sich Zeit nehmen für den Erhalt der eigenen Gesundheit, unserer wichtigsten Grundlage für ein stabiles Fundament in herausfordernden Zeiten.

Am Ende des zweiten Halbtages waren sich die Mitglieder des Perspektivteams einig: So viel körperliche Herausforderung gab es bei einem Frühjahrsseminar noch nie – so viel Entspannung allerdings auch nicht! „Die Möglichkeiten sind wirklich sehr vielseitig, die Umsetzung ist auch mit wenig Zeitaufwand einfach möglich und jeder kann sich jetzt Techniken mitnehmen, die persönlich am besten passen und funktionieren“, lautete das Fazit der Teilnehmer. Eine gelungene und abwechslungsreiche Veranstaltung aus dem immer wichtigeren Bereich der mentalen Gesundheit, welche es den Mitgliedern des Perspektivteams zukünftig ermöglicht, in Stresssituationen einfach noch tiefer durchzuschnaufen – und gekonnt zu entspannen.

Vielen Dank an Rainer Kirschner als Organisator und die engagierten Referentinnen für zwei erfahrungsreiche und sehr wohltuende Tage!

Katrin Lex

Am Ende des ersten Tages dankte Rainer Kirschner den beiden Referentinnen Hildegard Heller (links) und Sandra Alessio-Siedl (rechts)…

…und am Folgetag Monika Eder-Strobel (rechts) und Tanja Absmeier (links) für deren Vorträge und praktischen Anleitungen.

Höchste Konzentration im Meer der Energieströme in der praktischen Anwendung von QiGong.

Während die andere Gruppe sich an Yoga herantastet.

Progressive Muskelentspannung live,

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