Die Stimme - das Grundkapital des Lehrerberufs führt ein Schattendasein

Die Stimme – das Grundkapital des Lehrerberufs führt ein Schattendasein

Berufe werden nach Ausmaß der stimmlichen Anforderungen in vier Gruppen eingeteilt. Lehrkräfte werden in die Kategorie II eingeordnet, in die Berufssprecher. Darüber liegen nur noch Schauspieler, Sänger und Ähnliches. Während diese allerdings eine stimmliche Ausbildung genießen, ist bei Lehrern die Belastung der Stimme zwar hoch, eine Stimmbildung bzw. eine Optimierung der Stimm- und Sprechfähigkeit aber kein Bestandteil der beruflichen Ausbildung. Gerade im Schulalltag mit seinen vielfältigen didaktisch-methodischen Herausforderungen sind aber eine gesunde und leistungsstabile Stimme sowie eine verständliche Sprechweise unerlässlich. Daher bot der BLLV Niederbayern seinem Perspektivteam eine einmalige Gelegenheit, sich mit Stimmprophylaxe und Stimmhygiene zu beschäftigen. Das Seminar bestand aus zwei Einheiten. Zunächst wurde für jeden Teilnehmer entweder an der Universität Passau oder an der Universität Regensburg eine individuelle computergestützte Analyse der stimmlichen Leistungsfähigkeit und Stimmqualität durchgeführt und in einem anschließenden Feedbackgespräch das Ergebnis besprochen. Im zweitägigen Workshop wurden dann Kenntnisse der an der Stimmfunktion beteiligten Bereiche vermittelt und praktische Übungen zu Körperhaltung, Atmung, Stimme und Artikulation durchgeführt.

Um die Teilnehmer optimal betreuen zu können, wurde die Gruppe geteilt. Eine Hälfte wurde von Christian Gegner M.A. von der Universität Regensburg in die Welt der Stimme eingeführt, die andere von Dr. Elke Krauser M.A. von der Universität Passau.

Wie man als Lehrkraft von Schülerseite wahrgenommen wird, erfolgt über drei Kanäle. Dabei nimmt der auditive Kanal, also das, was wir hören, das Verbale, nur ein Drittel der Kommunikation ein. Der Großteil erfolgt über den visuellen Kanal, d. h. die Körpersprache, und den taktilen Kanal, die sogenannte Distanzzone. Aber der Höreindruck, der geprägt wird durch Stimme, Artikulation und Betonung entscheidet über die Aufmerksamkeit, Verständlichkeit und den Eindruck von Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Nach einer Studie unterliegen besonders Lehrer der Gefahr einer funktionellen Stimmstörung und in den Wartezimmern der HNO-Ärzte nehmen sie ca. 50 – 70 % der Patienten ein. Warum dies so ist, zeigt die Tatsache, dass der Lärm in Klassenzimmern mit 50-60 db gemessen wurde. Zum Vergleich, in einer Sporthalle liegt der Pegel bei 80 – 85, in der Schwimmhalle sogar bei 120 db. Ab 65/70 db muss in einem Unternehmen Gehörschutz getragen werden, ab 40 db beginnen nachgewiesene Konzentrations- und Schlafstörungen und ab 65 db steigt das Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen. Berücksichtigt man dann noch, dass die Lehrerstimme 10 db stärker sein muss, um das Sprachverständnis zu gewährleisten, so wird klar, dass Lehrer eine High-Risk-Beruf für Stimmstörungen ist.

Stimmstörungen bei Lehrern haben eine Vielzahl von drastischen Auswirkungen. Neben der geringeren Lebensqualität bis hin zum Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben und dem eventuellen Stundenausfall (laut „die Zeit“ ca. 11.000 Stunden) tritt auch der sogenannte Carpenter-Effekt auf. Dieser besagt, dass die Spannungen des Lehrers sich auf die Schüler übertragen, so dass sich die Kinder bei heiseren Lehrern weniger merken.

Bevor das Team auf gezielte Übungen einging, wurde nochmal die Stimme als Instrument der Kommunikation beleuchtet, die Organe und deren Funktion besprochen. Nur ein optimales Zusammenwirken aller Hauptkomponenten - Lunge, Stimmlippen, das Ansatzrohr im Mundraum – macht die Stimme belastbarer. Geprägt wird diese durch viele Einflussfaktoren. Dazu gehört allgemein die Sprechsituation. Handelt es sich beim Gesprächspartner um Kinder, wird die Stimme automatisch höher, während die bei einem Vorgesetzten tiefer liegt. Dazu kommen Lärmpegel und Raumakustik, aber auch Veranlagung und Vorbilder. Wenn z. B. die Eltern lispeln, haben oft auch die Kinder einen Zungenschlag. Und ganz wichtig ist der Körper selbst: Haltung und Tonus, Kehlkopf, Atmung und Ansatzrohr.

Die praktischen Übungen begannen mit der Wahrnehmung. Körperwahrnehmung, Präsenz während des Sprechens, Aufrichtung des Körpers und physiologische Atmung sind Grundlagen für ökonomisches Sprechen. Zunächst versuchte das Team im Sitzen den Bodenkontakt zu spüren und verschiedene Körperspannungen wahrzunehmen. Interessant war die Tatsache, dass man Körperenergie vergeudet, wenn man ein Bein über das andere schlägt. Am besten ist es, beide Beine immer parallel auf den Boden zu stellen. Unterstützend dagegen wirkt, wenn man dreimal die Hände ausstreicht oder die Kreuzbeine mit den Fäusten leicht ausklopft. Lustig wurde es dann bei den Übungen zur Wahrnehmung des Mundraums und der Gesichtsmuskulatur, wenn man die verschobenen Gesichter der Teilnehmer betrachtete. Aber ein gelöster Körper ist Voraussetzung für eine gelöste Stimme, die voll und resonanzreich klingt. Auch der richtige Stand unterstützt die Stimme. So steht man bei der optimalen Haltung gleichmäßig auf beiden Beinen mit lockeren Knien. Das Becken ist aufgerichtet, die Bauchdecke entspannt, Kiefermuskulatur und Schulter sind locker, der Kopf wird aufrecht gehalten – ein Tipp dazu: man sollte sich wie ein König bzw. eine Königin fühlen mit einer Krone auf dem Kopf, eingehüllt in einen Brokatmantel.

Der Beginn des zweiten Tages stand ganz unter dem Zeichen der Atmung. Redewendungen wie „mir bleibt die Luft weg“ oder „mir stockt der Atem“ zeigen, dass diese schon immer einen hohen Stellenwert hatte. Das Wahrnehmen, Erleben und Regulieren der Atmung ist von zentraler Bedeutung für die Entwicklung von Konzentration, Entspannung, Körpergefühl und Bewusstsein. Über die Steuerung der Atmung können körperliche und psychische Vorgänge beeinflusst werden. Die bevorzugte Atmung sollte die Nasenatmung sein und zwar im Dreierrhythmus Einatmen – Ausatmen – Atempause. Viele Menschen holen tief Luft, wenn sie bewusst atmen wollen. Dadurch kommt es aber zur Brustatmung. Dies führt zu einem Vollpumpen mit Luft, es kommt zu Verspannungen und damit zu Stimmbelastungen. Verschiedene Atemübungen auf den Buchstaben f, s, sch, aber auch mit p, t, k , sowie Nasenwechselatmung wurden daraufhin trainiert.

Eine klangvolle, tragfähige Stimme hängt auch vom Sitz des Kehlkopfs und der Größe des Ansatzrohres, d. h. des Mund-, Rachen- und Nasenraums, zusammen. Je weiter oben der Kehlkopf sitzt, desto mehr steigt die Stimme an und klingt gepresst und angestrengt. Ist der Resonanzraum kleiner, kann sich die Stimme nicht ausbreiten. Deshalb wurden Übungen zur Senkung des Kehlkopfes ausprobiert. Dazu gehört das Grimassieren, das Abzupfen der Gesichtshaut, die Maultrommel, das Lippenflattern, verschiedene Kauübungen und das Wichtigste, nämlich das Gähnen, das auf Vokale, still oder herzhaft ausgeführt worden ist.

Zu guter Letzt bekam das Perspektivteam noch einige Tipps zur Stimmprophylaxe und –hy-giene an die Hand. Flüstern und Räuspern sollte absolut vermieden werden, auch scharfe Hustenbonbons greifen die Mundschleimhaut zusätzlich an. Stattdessen sollte man viel trinken, genügend schlafen, Stress reduzieren und sich ausgewogen ernähren. Um die Stimme morgens in Gang zu bringen, ist es ideal, in einer angenehmen Tonlage zu summen und dabei den Brustkorb abzuklopfen.

Wenn man also zukünftig Lehrer in den Gängen sieht, die vor sich hin summen oder sich abklopfen, dann zeugt das nicht von einer geistigen Abwesenheit, sondern davon, dass diese Lehrkraft am Workshop des Perspektivteams teilgenommen hat und nun weiß, wie man mit seiner eigenen Stimme umgehen muss.

Diana Springer-Ferazin